Da sitzt er also, der Sadhu, seit Tagen an die (oder irgendeine andere) Kuh gelehnt, und weil ich das für ein ziemlich cooles Motiv halte, frage ich ihn dann halt doch irgendwann mal, ob ich ein Foto machen darf.
Wie man sehen kann, durfte ich.
Natürlich kommt man dabei nicht gänzlich ungeschoren davon, eine Transaktion ist eine Transaktion ist eine Transaktion, und da er das Angebot von ein paar Rupies ablehnt, bleibt mir nichts anderes übrig, als seine Aufforderung, mich zu ihm zu setzen, anzunehmen.
Finally! Ich in Gesellschaft eines heiligen Mannes!
Wenn ich Sadhus im Fernsehen sehe, dann bin ich eigentlich immer interessiert und will mehr wissen. Wenn ich Sadhus auf der Straße sehe, sehe ich manchmal ein faszinierendes Motiv, scheue aber eher den eingehenderen Kontakt. Sprachbarriere. THC-Barriere.
Ich befinde mich in Gokharn, einem kleinen Brahmanenstädtchen südlich von Goa. In den nächsten Tagen findet hier eines der größten Shivaratri-Festivals Indiens statt. Ich überlege, ob ich solange bleiben soll, eigentlich waren nur ein/zwei Übernachtungen eingeplant. Die Entscheidung wird mir abgenommen von einem nächtlichen Sturz auf völlig unbeleuchteter Straße in eine völlig ungesicherte Baugrube. Mein Knöchel ist so geschwollen, dass ich kaum noch humpeln, geschweige denn die Enfield antreten kann.
Es wimmelt hier von Sadhus, die dicht an dicht entlang des Weges zum Strand ihre Lager aufgeschlagen haben, in Vorfreude auf das Fest und die zu erwartenden Besucher. Es heißt, es kämen Hunderttausende.
Der Name Gokharn leitet sich übrigens von „Kuhohr“ ab. Irgendwas mit Shiva und der Kuh Prithvi …
Wer weiß, vielleicht werde ich ja Zeuge von etwas Profundem, immerhin ist es kurz vor der „Nacht Shivas“ (Shivaratri), wir sind in einem Ort namens Kuhohr und mein Sadhu scheint ja einen echt guten Draht zu den Kühen zu haben …
Noch bevor ich es mir zu seinen Füßen bequem gemacht habe, fängt er an auf mich einzureden. Er spricht das übliche, oft schwer verständliche Hinglish (Hindi-English), und belehrt mich darüber, dass der Respekt gegenüber Kühen in freiem Fall begriffen sei. Im Westen würde man sogar Kühe essen!
Ich fühle mich ein wenig mitverantwortlich und beteuere wahrheitsgemäß, dass ich Vegetarier sei … was er aber gar nicht zu hören scheint.
Er erzählt mir, dass es Bestrebungen gibt, die in Europa an Rinderwahn erkrankten Tiere nach Indien zu holen, um sie dort zu pflegen. Dass Kühe, komme was wolle, halt schlicht und einfach heilig seien.
Ich habe mich schon vor langer Zeit mit dem PRINZIP der heiligen Kuh angefreundet. Die Kuh gibt dem Menschen die Milch, die eigentlich für ihr eigenes Kind bestimmt ist. Selbstlos. Der Menscht nimmt sich die Milch und verpflichtet sich, die Kuh als Manifestation der Freigiebigkeit zu ehren. EinsA Philosophie, das!
Meine Gedanken schweifen ab, wie immer, wenn mich jemand mit seiner Weltsicht bombardiert … äh, klar Kühe .. klar, Respekt … aber da ist der Sadhu schon weiter und grätscht mir ins Bewusstsein mit seiner ultimativen Erkenntnis, dass, und jetzt muss ich passen wenn ich mich an die genaue Jahreszahl erinnern soll, die er mir genannt hat, aber ich glaube dass es 2020 war, dass da die Welt untergeht weil wir die Kühe nicht mehr genug respektieren …
Diesmal falle ich nicht in die ungesicherte Grube, die er da für die Zukunft der Welt ausgehoben hat, sondern stehe einfach auf und lass ihn verdutzt zurück. Wieder was gelernt für den Umgang mit Schwarzmalern, was mir seither schon ab und an von Nutzen war: dummes Gespräch dummes Gespräch sein lassen, bzw. Dummschwätzer Dummschwätzer sein lassen, aufstehen und gehen. Man darf auch mal (muss aber nicht) „Leck mich“ sagen, und man ist definitv nicht verpflichtet, absonderlichen Absonderungen den Raum zu geben, den sie so gerne beanspruchen.
Respekt den Kühen!
Aber keinen Respekt den Dummschwätzern und Schwarzmalern!!!